Text der Petition
Mit der Petition wird gefordert, dass alle in dem Bundestag eingebrachten Gesetzentwürfe parallel von je 200 gelosten Bürgerinnen und Bürgen im Rahmen von Bürgergutachten mit Planungszellen beraten werden. Die Ergebnisse werden jeweils vor der Abstimmung öffentlich bekannt gegeben.
Begründung
Jedes Jahr werden so 24.000 geloste Bürgerinnen und Bürger im Rahmen von 120 Bürgergutachten, ganz direkt an der Gestaltung unserer Gesellschaft beteiligt.
Dies wird einen enorm positiven Einfluss auf unsere Gesellschaft haben:
Bürgergutachten werden in der Bundesrepublik Deutschland seit 47 Jahren angewandt. Sie sind oft wissenschaftlich begleitet worden und so in ihrer Wirkung gründlich erforscht.
Die Erfahrung zeigt, dass die Ergebnisse von Bürgergutachten einen starken Blick auf das Allgemeinwohl haben. Das heißt, die gemeinsam formulierten Aussagen der gelosten und mit fachlichem Hintergrund versorgten BürgerInnen bieten ein genaues Bild für das, was die Gesellschaft für das Allgemeinwohl am förderlichsten hält und auch in der Umsetzung zu akzeptieren bereit ist.
Mit diesen Empfehlungen haben die Abgeordneten eine belastbare Grundlage, um tatsächlich als gewählte Vertreter des ganzen Volkes (Artikel 38 Abs. 1, Grundgesetz) politische und regulatorische Ideen und Programme im Sinne des ganzen Volkes zu entwickeln.
Ein Bürgergutachten dauert vier Tage.
Innerhalb dieser Zeit erleben die teilnehmenden BürgerInnen einen Querschnitt der Gesellschaft.
Ihre Haltung zur Gesellschaft ändert sich. Es wird dann „ihre“ Gesellschaft, nicht mehr „die“ Gesellschaft, sie erleben sich als ein Teil davon.
Durch die häufige Anwendung kann sich dieses andere Gefühl nach und nach in der ganzen Gesellschaft etablieren und einen neuen Politikstil des Miteinander erzeugen.
Ein positiver Nebeneffekt:
Keiner ist überfordert, keiner ist ausgeschlossen, keiner wird übergangen, alle werden gehört. Status, Geld und Position spielen keine Rolle.
Jede Fragestellung kann mit einem vernünftigen Aufwand zeitnah behandelt werden.
Insgesamt geht es darum, die Herausforderungen dieser Zeit mit vielschichtigem Blickwinkel und der Lebenserfahrung aller Beteiligten zu meistern.
Unterschiedlichste Interessengruppen/Menschen werden zusammengebracht, um gemeinsame Utopien zu erarbeiten.
Wissenschaftliche Ergebnisse treffen auf menschliche Bedürfnisse.
Ängste genauso wie innovative Visionen.
Tausende Jahre Lebenserfahrung eines Querschnittes der Bevölkerung gepaart mit den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen arbeiten für die besten am Allgemeinwohl orientierten Lösungen.
So können wir als Gesellschaft zusammenwachsen, gefördert durch Dialog und einen bürgernahen bzw. bürgergestützen Politikstil.
Dieser Politikstil soll mit allen praktischen Verbesserungen in Bund, Ländern und Gemeinden etabliert werden.
Allerdings ist die Realisierung dieser Petition an die Lösung mehrerer Herausforderungen gebunden:
1) Kosten: ca. 50 Millionen Euro pro Jahr
Schließlich sind Lohnersatzleistungen, Anreise, Hotelunterkunft, Verpflegung von 24.000 Personen zu finanzieren. Hinzu kommen die Kosten für die Anmietung entsprechender Säle und Arbeitsgruppenräume, dazu dann noch die Honorare von Moderatorinnen und Moderatoren, der wissenschaftlichen Begleitung, der Veranstaltungstechnik und der Moderationsmaterialien. Nicht zu vergessen die paar Dutzend neuer Stellen, welche zu schaffen sind, um die 120 Veranstaltungen pro Jahr zu organisieren und die Anreise und Unterbringung der Teilnehmenden zu regeln.
Spannend, dass dieses "Detail" nicht in der ansonsten recht ausführlich gehaltenen Petitionsbegründung auftaucht. Jedenfalls: die Hotelbranche wird sich über diese Petition freuen.
2) Freiwillige finden
Pro Legislaturperiode sind über 100.000 Personen (denn tatsächlich werden regelmäßig mehr als 480 Gesetze vor Legislatur verabschiedet) zu finden, welche an den "Planungszellen" aktiv wie motiviert teilnehmen. Ergo wird ein Reservoir von Millionen Bürgerinnen und Bürgern benötigt, welche sich dem Losverfahren freiwillig stellen. Schließlich soll sich ja nicht eine Gruppe von Dauerteilnehmenden entwickeln. Sicherzustellen ist auch, dass die Einladung zur Planungszelle nicht als willkommene Urlaubstour auf Staatskosten missbraucht wird. Auch zu gewährleisten ist, wie die Teilnehmenden dem Druck öffentlichen Interesses, gerade bei kontrovers behandelten Themen, standhalten bzw. vor dem vielfältigen Medienecho geschützt werden können.
3) Fragwürdiges Mandat
Nur ein Teil der Gesetze, welche der Bundestag beschließt, hat direkte Auswirkungen auf das Leben der Bürgerinnen und Bürger. Bürgergutachten sind, wenn überhaupt, somit nur für einen Teil der Arbeit des Deutschen Bundestags sinnvoll. Zudem kann durch die von der Petition verlangte obligatorische öffentliche Präsentation der Ergebnisse des Bürgergutachtens in der Bevölkerung der Eindruck eines "Nebenparlamentes" entstehen: "die wahren Vertreter des Volkes gegen die etablierte Klasse der Volksvertreter". Was passiert, wenn der Bundestag die Meinung der 200 Ausgelosten nicht berücksichtigt oder gar zurückweist? Und wie kann die einmalige Aktion "Bürgergutachten" der Dynamik eines Gesetzgebungsverfahrens entsprechen? Bzw.: ist das Instrument "Bürgergutachten" flexibel genug, um auch in dynamischen Gemengelagen, welche rasches Handeln erfordern, wie im Frühjahr anlässlich der Entscheidungen zur Pandemieeindämmung, Verwendung zu finden (die Petition fordert ja ein Bürgergutachten zu allen Gesetzen). Und: kann einer populistischen Vereinnahmung der Ergebnisses der Bürgergutachtens tatsächlich vorgebeugt werden?
4) Herausforderung
Die Arbeit in den Fachausschüssen und Expertengremien des Deutschen Bundestags hat sich bewährt. Mitunter beraten diese über mehrere Wochen bis Monate, bis dass eine Beschlussempfehlung erreicht ist. Hier sollen nun Bürgergutachten innerhalb von wenigen Tagen kreiert werden, und zwar von Menschen, welche bislang im erstrebenswerten Regelfall nur oberflächlich von dem zu behandelnden Thema gehört haben. Eine Überforderung der Teilnehmenden im Thema ist somit ein hohes Risiko. Ob tatsächlich für Anliegen, welche der Deutsche Bundestag behandelt, durch "Bürgerplanungszellen" "belastbare Gutachten" erarbeitet werden können, erscheint sehr fraglich.
5) Notwendige Grundgesetzänderung
Zu prüfen sein wird auch, ob die Realisierung dieses Petitionsbegehrens eine Grundgesetzänderung, Art. 38 ff GG, zur Folge haben wird. Mindestens notwendig wird eine Änderung der Geschäftsordnung des Bundestags sein. Denn schließlich wird mit nicht ganz unerheblichem Aufwand ein neues Gremium geschaffen.
6) Sensible Rolle: Moderatorinnen und Moderatoren
Wenn 200 Menschen miteinander diskutieren und fristgebunden an einem komplexen Thema arbeiten sollen, dann ist eine Moderation sowie eine "Geschäfts- und Redeordnung" unabdingbar. Der Moderation fällt somit eine zentrale wie sensible Rolle zu, welche tunlichst parteineutral wahrzunehmen ist.
Fazit: die Umsetzung der Petition bedeutet eine Schwächung des Parlamentarismus und eine Schwächung gerade der etablierten, demokratischen Parteien im Land, bei nicht unerheblichen Kosten und weiteren Risiken. Die durch dieses Instrument bzw. die umfangreiche aktive Einbindung zahlreicher Bürgerinnen und Bürgern vermutete Stärkung der Demokratie und eines "enorm positiven Einflusses auf die Gesellschaft" ist noch nachzuweisen. Ob das postulierte "Zusammenwachsen der Gesellschaft" notwendig ist, ist ebenfalls fraglich. Ein plebiszitäres Beteiligungsinstrument, welches für bestimmte Fragestellungen auf lokaler bzw. kommunaler Ebene, im direkten Lebensumfeld, durchaus seine Eignung bewiesen hat, auch für Entscheidungen nationaler Bedeutung zu verwenden, erscheint äußerst fraglich, ein tatsächlicher Mehrwert ist bislang nicht erkennbar.