Text der Petition
Der Deutsche Bundestag möge ein Bundesteilhabegesetz beschließen, welches die Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention beachtet. Insbesondere ist Menschen mit Behinderung ausdrücklich eine unabhängige Lebensführung zu garantieren (Art. 19 UN-BRK), sowie die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft, insbesondere am politischen und öffentlichen sowie kulturellen Leben (Art. 29 und 30 UN-BRK).
Begründung
Der vorgelegte und vom Kabinett beschlossene Entwurf für ein Bundesteilhabegesetz genügt in wesentlichen Punkten den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention nicht.
Das Wunsch- und Wahlrecht orientiert sich in der jetzt geplanten Form (§ 104 Abs. 2 BTHG-Entwurf) vor allem an Kostengesichtspunkten, so dass gerade ein Auszug aus einer Einrichtung für Betroffene kaum mehr zu erreichen sein würde. Gefordert wird daher die ausdrückliche Übernahme des Wortlautes der von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention, nämlich die Garantie, dass Menschen mit Behinderung „gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben“.
Bedrohlich erscheint auch das Vorhaben, eine zwangsweise gemeinsame Erbringung von Leistungen Persönlicher Assistenz erstmals rechtlich zu legitimieren (§ 102 Abs. 2 BTHG-Entwurf). Für Betroffene bedeutete dies, dass sie ihr Leben nicht mehr individuell gestalten könnten, sondern die Tagesplanung, aber auch Freizeitgestaltung an den Planungen anderer Menschen mit Behinderung ausrichten müssten, ihre Assistenten/-innen nicht mehr selbst auswählen könnten und in räumlicher Nähe zu anderen Betroffenen leben müssten, um Versorgungsengpässe zu vermeiden. Ein zwangsweises „Poolen“ Persönlicher Assistenz außerhalb von Einrichtungen ist deshalb abzulehnen. Zumindest für diese Konstellation ist ein Zustimmungsvorbehalt aufzunehmen.
Der Zugang zu den Leistungen der Eingliederungshilfe würde in § 99 Abs. 1 BTHG-Entwurf für Personen die nicht in mindestens 5 von 9 Lebensbereichen auf Unterstützung angewiesen sind (bzw. nicht in 3 von 9 Bereichen auch mit Unterstützung nicht teilhaben können) unzulässig erschwert, insoweit, dass kein Anspruch auf Unterstützung mehr bestünde, sondern Leistungen lediglich nach Ermessen des Kostenträgers gewährt werden könnten. Einer Vielzahl der Betroffenen bliebe somit die Teilhabe am kulturellen, öffentlichen und politischen Leben sowie die unabhängige Lebensführung, aber auch das Recht auf Bildung verwehrt.
Problematik im Bereich Bildung, Schule und Ausbildung:
• Bildung für Gehörlose ist meisten nicht ausreichend
• Sogar in Gehörlosenschulen, können nicht alle Lehrer die Gebärdensprache, ebenso die Vertretungslehrer
• Bei der PISA-Studie bleiben die Gehörlosen außen vor, somit wird diese Problematik ausgeblendet
• Weiterbildung an Universitäten ist sehr schwer, es gibt kaum spezielle Unis oder Studiengänge für Gehörlose
• Die Deutsche Laut-/Schriftsprache muss jeder Gehörlose wie eine Fremdsprache lernen, entsprechende Unterstützung fehlt dabei
• Deutsch-Kurse für Erwachsene sind oft nur in den größeren Städten angeboten und müssen meist aus eigener Tasche bezahlt werden
• Das Nachhilfeangebot ist nicht an Gehörlose angepasst
• Die schlechte Schulbildung hat eine erhebliche Auswirkung auf den weiteren schulischen und beruflichen Verlauf
• Die Berufswünsche von Gehörlosen Jugendlichen können aus diesem Grund oft nicht verfolgt werden; die Möglichkeiten und freie Berufswahl sind eindeutig eingeschränkt, da das Bildungssystem nicht die entsprechende Vorbereitung liefert
• Gehörlosen wird es dadurch zusätzlich erschwert einen Ausbildungsplatz zu finden
• Auch Erzieher in Heimen und Internaten (die oft mit Gehörlosenschulen verknüpft sind) können keinen Gebärdensprache
Problematik am Arbeitsplatz und bei Weiterbildungsmaßnahmen:
• Gehörlose haben große Probleme einen Arbeitsplatz zu finden, zum Einen aufgrund der Gehörlosigkeit und auch wegen der schlecht schulischen Bildung
• Fortbildungsmaßnahmen, wie z.B. VHS-Kurse oder auch betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen, können von Gehörlosen nur wahrgenommen werden, wenn sie den Dolmetscher selbst bezahlen (zusätzlich zur Kursgebühr)
• Deutschkurse für die Arbeitnehmer werden nicht gefördert, obwohl das die Kommunikation im Betrieb verbessern könnte
• Gehörlose sind zudem benachteiligt, da sie es kaum schaffen – im Gegensatz zu Hörenden – eine leitende Position als Manager oder Unternehmer zu erreichen; auch eine Meisterstelle zu bekommen ist sehr schwer und gehörlose Mitarbeiter werden abgelehnt
• Anstellungen als Kaufmann/-frau, bspw. Bei Krankenkassen, Versicherungen etc., ist sehr schwer
• Eine mögliche Profisportkarriere scheint ebenfalls unerreichbar
Problematik bzgl. fehlender Dolmetscher und nur geringfügige Kostenübernahme:
• Öffentliche und politische Termine bzw. Veranstaltungen werden nicht gedolmetscht
• Im Fernsehen gibt es nur einzelne ausgewählte SENDUNGEN, wie z.B. Tagesschau (ARD), die mit Dolmetscher-Einblendung klare Informationen an Gehörlose vermitteln; es gibt nicht zu jeder Sendung den Untertitel, was schon eine große Hilfe wäre
• Dolmetscher werden bei privaten Angelegenheiten wie Versicherungen, Anwalt, Rente etc. nicht bezuschusst bzw. die Kosten werden nicht übernommen
• Einladungen zu Veranstaltungen anderer Vereine verlangen häufig, den Dolmetscher selbst zu organisieren und somit auch zu bezahlen
Unzufriedenheit wegen Regelungen zum Schwerbehindertenausweis:
• Bis zum Schulabschluss tragen Gehörlose das H (hilflos) im Ausweis und kriegen damit wichtige Vergünstigungen, wie. z.B. für Blitzanlagen oder beim Freibetrag; nach dem Schulabschluss haben die nur das GL (gehörlos) wobei diese Vergünstigungen wegfallen oder zumindest nach Grad der Behinderung abgestuft werden
• Blinde Menschen tragen das H ihr Leben lang im Ausweis, obwohl sie wie die Gehörlosen eine Sinnesbehinderung haben
Problematik beim Notruf:
• Einen Notruf abzusetzen ist grundsätzlich nicht in dem Umfang bzw. in der Geschwindigkeit möglich wie es notwendig ist; es steht nur der Notruf per Fax zur Verfügung, der zum einen verzögert stattfindet und zum anderen sehr viel Zeit zur Beantwortung beansprucht; außerdem kann der Notruf auf diese Art nur von Zuhause abgegeben werden, allerdings nicht bei einem Verkehrsunfall; Es wird also ein „mobiles System“ benötigt um die Lücke zu schließen;
Zusätzlich haben viele gehörlose Senioren keinen Zugang zu Internet sodass der einzige Kommunikationskanal über das Fax läuft, was ein großes Problem darstellt
• Die Fachkräfte, Polizei, Ärzte und Feuerwehr, beherrschen nur sehr selten die Gebärdensprache und können somit nicht die notwendigen Informationen am Unfallort erklären; Gehörlose wissen in solchen Momenten nicht was passiert
• Es ist notwendig, dass immer gebärdensprachkompetentes Personal in einem solchen Fall zur Verfügung steht oder ein festes System für den Dolmetschereinsatz bei Notfällen eingeführt wird
• Information und Warnung vor Katastrophen sind unverständlich für Gehörlose, sie brauchen ein Adäquates Informationssystem oder Netzwerk, um solche Informationen deutlich und so schnell wie möglich zu erhalten
• Bereits bestehende Systeme wie Tess /Telesign/ VerbaVoice könnten die Situation verbessern
Problematik bzgl. Ämter und Formulare:
• Formulare von Ämtern oder auch Krankenkassen sind immer zu schwer zu verstehen, zumal die Deutsche Schriftsprache für Gehörlose nicht klar verständlich ist (wie Fremdsprache) und lange, komplizierte Sätze überhaupt nicht verstanden werden
• Gehörlose müssen für alle möglichen Bedürfnisse Anträge stellen, jeder Dolmetschereinsatz mit Kostenübernahe muss beantragt werden, Blitzlichtanlagen und spezielle Warnsysteme müssen extrig angefordert werden
• Oft werden spezielle Angebote für Gehörlose nur in größeren Städten zur Verfügung gestellt, d.h. sie haben weite Fahrtwege (das betrifft schon die Kinder, die zu Schule pendeln) und damit verbunden mehr Kosten
Probleme aufgrund der Familiengeschichte/-konstellation
• Gehörlose Familien die z.B. ein geistig behindertes Kind haben, haben es sehr schwer alle Hilfssysteme auszuschöpfen, weil ihnen die grundlegenden Möglichkeiten nicht bewusst sind und sie das Antragssystem nicht verstehen
• Außerdem müssen sie oft für Zuschüsse kämpfen, preisliche Limits von Krankenkassen verhindern eine angepasste und optimale Unterstützung (z.B. technische Hilfsmittel, Sozialleistungen…)
Gesetzliche Forderungen der Gehörlosen:
• Teilhabe und Inklusion müssen Pflicht sein, und sollten nicht auf „freiwilliger Basis“ der Bundesländer organisiert werden
• Teilhabe muss verbessert werden
• Flüchtlingspolitik wird ständig an die aktuelle Situation eingepasst um beste Integration zu erreichen, doch die Teilhabegesetze zur Inklusion deutscher gehörloser Bürger wurden abgelehnt (Bsp.: Deutschkurse für Flüchtlinge werden überall angeboten, für Gehörlose, die diese Kurse schon längst brauchen, gibt es kaum Kursangebote)
• UN-BRK sollte der Grundstein für die Teilhabegesetze sein, und die müssen endlich verabschiedet werden um Teilhabe und Inklusion zu ermöglichen!
• Gehörlose brauchen mehr Unterstützung, wie z.B. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
Zusammenfassend:
Gehörlose haben große Schwierigkeiten im Alltag, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft. Viele Angebote die für Hörende komplett kostenfrei zu Verfügung stehen, sind für Gehörlose aufgrund der Hohen Dolmetscherkosten nicht erreichbar. Es kommen immense Kosten wegen der geringen Kostenübernahme für Dolmetscher und auch aufgrund häufiger und langer Fahrtwege zu spezialisierten Einrichtungen, z.B. mit gebärdensprachkompetenem Personal, auf. Besonders große Familien brauchen ein großes Budget allein für Dolmetschleistungen in Kindergarten, Schule, bei Elterngesprächen, bei Ärzten, Versicherungen etc. Aber dafür selbst aufzukommen, ist unmöglich. Es müssen schließlich noch Wohnung, Auto, Freizeit usw. wie bei jeder anderen hörenden Familie bezahlt werden. Unabhängig vom Einkommen müssen Gehörlose gleichberechtigt teilhaben und gesellschaftliches sowie kulturelles Leben erleben können.
Auch niedrigschwellige Beratung ist nur durch eine gesicherte Kommunikation möglich, wie es derzeit die Projektstelle der Beratung im Ingolstädter Gehörlosenverein gibt, die allein aber bei weitem nicht alle Lebensbereiche und Probleme der Gehörlosen bearbeiten kann.
Gehörlosen gehören zu Deutschland dazu, und sollten am gesellschaftlichen Leben uneingeschränkt teilhaben können. Prinzipien wie Lebenslanges Lernen sollen auch für Gehörlose erreichbar sein.
Deshalb kann das Bundesteilhabegesetz nicht weiter aufgeschoben werden, es muss einen Umschwung geben und die Bedürfnisse und Rechte aller Menschen mit Behinderung gleichberechtig erfüllt werden. Es gilt gleiche Rechte für Hörende und Gehörlose zu garantieren.