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Diskussion zur Petition 109562

Deutscher Bundestag

Einberufung einer "Expertenkommission" mit Befürwortern und Kritikern des bundesweiten Coronavirus-Lockdowns vom 12.04.2020

Diskussionszweig: Fazit zum Schluss der Mitzeichnungsfrist

Nutzer3294430 | 30.07.2020 - 22:09

Fazit zum Schluss der Mitzeichnungsfrist

Anzahl der Antworten: 3

1) Diese Petition ist ein weiteres Beispiel für Politik im Zeitalter der „sozialen Medien“. In diesem Fall wurde für diese Petition auf Dutzenden von Plattformen der „alternativen Medien“ die Werbetrommel gerührt, verlinkt mit Hinweisen auf weitere Informationen. Weshalb letztendlich erstaunlich ist, dass nach vier Wochen das erhoffte Quorum trotz gegebener Aktualität nur knapp erreicht wurde.
2) Tatsächlich zeigt sich auch hier, wie wichtige Botschaften über die etablierten „Kanäle“ zu einigen Bevölkerungsgruppen überhaupt nicht mehr durchdringen bzw. diese Botschaften wegen Fälschung und Verführung abgelehnt werden, was auf hermetisch geschlossene Weltbilder hindeutet. Tatsächlich wurde sich dann trotz besseren Wissens aus Quellen informiert, welche nachweisbar auf mutwillig verkürzten, entstellten oder aus dem Zusammenhang gerissenen Informationsbrocken und Zitaten basierte.
3) Veränderungssituationen bringen Unsicherheit, auf Unsicherheit reagiert das menschliche Gehirn konstruktivistisch, sprich es versucht neue Wahrheiten zwecks Lösungsfindung und Neuorientierung zu produzieren. Veränderungssituationen bedeuten aber auch Stress, Ängste und Widerstände. Auch hier reagiert das Gehirn zunächst mit der Suche nach gewohnten, eingeprägten Mustern, wozu auch kulturelle Prägungen zählen. Verschwörungserzählungen sind zunächst ein Instrument für das Gehirn, mit Veränderungssituationen konstruktiv umzugehen. Die bekannten Muster werden sowohl im Erfahrungsschatz als auch in der Umwelt gesucht. Soziale Medien mit ihren Echokammereffekten verstärken dies. Weshalb verständlich wird, weshalb Personen, welche gute Erfahrungen mit Verschwörungserzählungen haben, auf Verschwörungsmuster, vermeintlich stimmige einfache Lösungen und Orientierungen, welche in den sozialen Medien leicht zu finden sind, verstärkt anspringen. Zudem erfordert die Adaption von Verschwörungserzählungen als neue Deutung der Umwelt deutlich weniger Energie als der Lernprozess zur Orientierung in der neuen Umweltsituation. Die Diskussion hier im Forum zu dieser Petition war geprägt von einer ungewöhnlich großen Dichte von abstrusen bis grotesk-monströsen Verschwörungserzählungen, deren Inhalte sich aber oft wiederholten. Hier hat eine bewusst zurückhaltende Moderation therapeutisch gewirkt. Politik und Regierungen haben in zukünftigen Fällen von gesellschaftlichen Herausforderungen verstärkt auf diese Wirkungsweisen sozialer Medien zu achten.
4) Diese Petition wurde auf dem Höhepunkt der „ersten Coronawelle“ verfasst, mit noch frischen Eindrücken von der Wirkung aber auch Wirksamkeit der Eindämmungsmaßnahmen. Als Beweggrund kann zum einen die Sehnsucht nach Lob und Anerkennung für die für die Gesellschaft getätigten Opfer angesehen werden. Da aber hier auch eine Aktion der rabiaten Impfgegnerecke zu sehen ist, kann die Motivation für diese Petition als bewusst „elitenfeindliche“ Aktion gewertet werden: Empörung und Aufmerksamkeit. Denn impliziertes Ziel ist die Schaffung eines Gegengremiums zum Parlament, um dieses und die Regierung falschen Handelns zu überführen. Das damit verbundene Ziel lautete sicherlich: schnelle Rückkehr zur gewohnten Normalität.
5) Auch wenn hier im Forum die Phase zwischen Einreichung und Veröffentlichung als zu lang kritisiert und hinterfragt wurde, tatsächlich wurde die Petition in einer Version freigegeben, welche nicht der Richtlinie entsprach. Weshalb der Text der Petition während der laufenden Mitzeichnungsfrist umzuformulieren war.
6) Trotzdem war die verstrichene Zeit lang genug, um die Gesamtlage (Kontext, Kulisse) zum Zeitpunkt der Einreichung deutlich zu ändern: Die Eindämmungsmaßnahmen von April waren in keinerlei Weise mehr mit den Maßnahmen vom Juli vergleichbar. Der eigentliche Petitionszweck war mittlerweile tatsächlich nicht mehr durch die Realität begründet. Entsprechend war die Suche nach einem neuen Sinn für diese Petition, die sich in vier großen Themenblöcken in der Diskussion im Forum niederschlug:
a) Verharmlosung der Gefährlichkeit von SARS-CoV-2 bis hin zur Verleugnung von dessen Existenz, bei einem bewusst verengten Fokus allein auf die Gesamtlage in Deutschland,
b) Spekulationen über die Gefährlichkeit möglicher Impfseren inklusive Mutmaßungen über die Impfstrategie der Bundesregierung, ohne allerdings gleichzeitig eine Abwägung mit den Risiken des Virus zu versuchen, die Impfkritiker hatten hier eine prominente Plattform,
c) Wiederholtes Präsentieren wildester Verschwörungserzählungen bei bewusster Vermeidung einer Beschäftigung mit präsentierten wissenschaftlich begründeter Fakten,
d) Misstrauen der Ernsthaftigkeit und Seriosität der Arbeit von Parlamenten, Regierungen und professionellen Medien, u.a. durch quasi stündliches Nachzählen der Zahl von Mitzeichnungen, stattdessen Werben für die Kanäle und Plattformen in den sozialen Medien mit ihren „alternativen Erzählungen“.
7) Festzustellen ist, dass die Zahl der Beiträge, welche einen konstruktiven Austausch über die Petition versuchten, überraschend klein blieb. Tatsächlich war sogar die Zahl mit esoterisch-spirituell geprägten Inhalten noch größer.
8) Die Beiträge der Befürwortenden der Petition, bei großer Schnittmenge zu den Beiträgen mit grotesken Verschwörungserzählungen und unbegründeter Regierungskritik waren geprägt von einem hohen Maß an Aggressivität, Diffamierungen, persönlichen Angriffen, Verbalinjurien, vermutlich aus einer instinkthaften Abwehr von Fakten zum Schutz der angenommenen holistischen Welterzählung und somit Abwehr einer Veränderungssituation.
9) Die in diesen Beiträgen präsentierten Weltdeutungen waren äußerst holzschnittartig vereinfacht und fokussiert auf greifbare, sichtbare Symbole bzw. wenige Personen. Einfachen Botschaften, welche bekannte Muster und Glaubenssätze wiederholten, wurde mehr vertraut, als den komplexen und wissenschaftlich vage gehaltenen offiziellen Mitteilungen. Das Gesamtbild der Bundesverwaltung und der landesweiten Maßnahmen zur Pandemieeindämmung sowie global-systemische Zusammenhänge wurden in diesen Beiträgen bewusst ignoriert. Typisch für soziale Medien war, dass die persönlich-emotionalisierende Kommunikationsebene deutlich wichtiger war, als die neutral-diskursive Sachebene: es ging nicht um das, was im Beitrag stand, sondern von wem der Beitrag formuliert wurde und wie darin für die Lager- und tribale Gruppenbildung wichtige Symbole und Rituale sichtbar wurden.
10) Ergebnis war, dass selbst wohlmeinende Ermahnungen an die zwischenzeitlich fanatisiert-verblendete kleine Aktivgruppe der Petitionsbefürwortenden, doch die Wirkungen der eigenen Beiträge auf die späteren Entscheiderinnen und Entscheider über die Petition zu berücksichtigen, ja dem Deutschen Bundestag positive Signale und Angebote zu senden, nicht mehr zur Kenntnis genommen wurden.

Fazit:

1) Die Petition ist nur verständlich aus den Rahmenumständen, einer stark im Wandel begriffen Gesamtlage. Zum Zeitpunkt der Mitzeichnungsfrist war diese Gesamtlage nicht mehr gegeben.
2) Somit diente die Petition als Ventil, um bestätigende Anerkennung und belobigende Aufmerksamkeit zu suchen, aber auch als Plattform, um dank einer wohlwollenden Moderation wildeste Verschwörungserzählungen und abstrus-monströse Anklagen gegen Eliten, Politik, Regierung, Presse und Wirtschaft zu publizieren.
3) Während durch die zwei Versionen der Petitionsbegründung und einige Beiträge im Forum noch der Zweck der durch die Petition geforderte „Expertenkommission“ erahnbar wurde, blieb das mit der Petition intendierte Ziel nebulös. Hier reicht die Bandbreite von einem konstruktiven Ansatz eines beratenden Expertengremiums bis hin zu außerparlamentarischen, nicht demokratisch legitimierten Untersuchungsausschüssen bzw. nicht verfassungsgemäßen „Experten- und Richtertribunalen“ zum Führen eines öffentlich live übertragenen Schauprozesses „das Volk gegen Parlament und Regierung“.
4) Tatsächlich kann das Petitionsanliegen wegen Nichterfüllbarkeit abgelehnt werden, da um ihre Reputation besorgte seriös und eben nicht populistisch arbeitende Expertinnen und Experten eine Mitwirkungen auch zum Schutz der eigenen Person und Privatsphäre vor Verunglimpfung und Verfolgung ablehnen werden: kurz, niemand dürfte sich finden, um die „regierungsnahe Rolle“, die Rolle der Fakten und Wissenschaft in dieser Schauveranstaltung namens „Kommission“ auf unbestimmte Dauer zu übernehmen.
5) Zudem hat der Bundestag genügend etablierte Mittel, um einen ähnlichen Zweck, die Kontrolle der Regierungsarbeit, durchzuführen: Anfragen, Aktuelle Stunden, Ausschussarbeit, Untersuchungsausschüsse oder aber Enquete Kommissionen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Pandemielage fortbesteht und aktuell die zweite Infektionswelle droht.
6) Die Diskussion im Forum ist ein guter Fundus für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung und der Parteien.
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