Text der Petition
Der Bundestag möge beschließen, einen bundesweiten Bürger*innenrat zur Klimapolitik einzuberufen. Dieser soll repräsentativ und unabhängig sein und über folgende Frage beraten: Welche Maßnahmen soll Deutschland bis 2035 unter Berücksichtigung der sozialen Gerechtigkeit ergreifen, um seinen Beitrag zur Einhaltung der Pariser Klimaziele zu leisten? Der Bundestag möge sich verpflichten, die Vorschläge des Bürger*innenrats in seiner Gesetzgebung zu berücksichtigen.
Begründung
Ein Bürger*innenrat bringt Menschen mit ganz verschiedenen Lebenserfahrungen und Sichtweisen zusammen, gibt ihnen die Möglichkeit sich umfassend zu informieren und gemeinsam Lösungsvorschläge für die Politik zu erarbeiten. Bürger*innenräte können unsere Demokratie stärken und zugleich eine faktenbasierte und faire Klimapolitik auf den Weg bringen, die von der Breite der Bevölkerung mitgetragen wird.
Wie funktioniert ein Bürger*innenrat?
Eine Gruppe von ca. 100-150 zufällig ausgewählten Menschen, die die Vielfalt unserer Gesellschaft widerspiegeln, trifft sich über mehrere Wochenenden, um zu einem bestimmten Thema Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Sie werden von anerkannten und unabhängigen Expert*innen beraten und diskutieren mit Hilfe von Moderator*innen gemeinsam die Vor- und Nachteile verschiedener Lösungsansätze. Ein Bürger*innenrat arbeitet transparent und unabhängig.
Warum ein Bürger*innenrat zur Klimapolitik?
Über Jahre ist es der Bundesregierung nicht gelungen, der Umwelt- und Klimakrise angemessen zu begegnen. Das 2019 verabschiedete Klimapaket ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, dennoch führt es nicht zu den großen gesellschaftlichen Veränderungen, die aus Sicht der Wissenschaft notwendig sind, um die verbindlichen Pariser Klimaziele zu erreichen und die Erderwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Hier kommt der Bürger*innenrat ins Spiel: Er kann helfen, eine sozial gerechte Antwort auf die Klimakrise zu finden, die den wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung trägt und gleichzeitig die Bürger*innen aktiv an der Lösungsfindung beteiligt.
Beim Klimaschutz treffen brennende ökologische Fragen auf wirtschaftliche Interessen und soziale Konflikte. Für viele Menschen sind gesellschaftliche Veränderungen mit Bedenken verbunden, z. B. in Bezug auf ihren Arbeitsplatz oder ihren Lebensstil. Politiker*innen gehen daher ein Risiko ein, wenn sie sich für eine ambitionierte Klimapolitik einsetzen: Während sich die negativen Auswirkungen der globalen Erwärmung erst in den kommenden Jahrzehnten gänzlich zeigen werden, steht die nächste Wahl in wenigen Jahren an. Volksvertreter*innen, die jetzt ambitionierte Maßnahmen im Interesse junger und zukünftiger Generationen umsetzen möchten, ziehen leicht den Unmut vieler Wähler*innen auf sich. Ein Bürger*innenrat kann der Politik ein Mandat für zukunftsweisende Maßnahmen geben.
Ein Bürger*innenrat als Chance
Neben der globalen Erderwärmung sorgen in Deutschland wachsende soziale Ungleichheit sowie sinkendes Vertrauen in die demokratischen Institutionen für Besorgnis. Klimapolitik kann und sollte daher Anlass sein zu überlegen, was uns als Gesellschaft wichtig ist und welche Visionen wir für unsere gemeinsame Zukunft haben. Lassen Sie uns die Klimakrise als Chance nutzen, um eine andere, eine gerechtere Zukunft zu gestalten. Mit einem Bürger*innenrat zur Klimapolitik. Und politischen Entscheidungsträger*innen, die sich verpflichten, die Handlungsempfehlungen der Bürger*innen ernst zu nehmen.
1) Der Antrag und die Beiträge der Befürwortenden dieses Antrags scheinen getrieben von der Annahme einer "es ist bereits jenseits fünf vor zwölf"-Gemengelage. Der Antrag reiht sich damit ein in eine nun fast 48 Jahre alte Tradition. Der menschengemachte Klimawandel ist wissenschaftlich erwiesen und erwiesen ist auch, dass sich die Manifestationen dieses Phänomens weltweit zunehmend durch Extremwetterereignisse sowie Veränderungen in der Ökosphäre abzeichnen. Immanenter Handlungs- und Entscheidungsbedarf ist gegeben. Allerdings sind dabei die hochkomplexen systemischen Wirkgefüge wie die zu schaffende Balance zwischen den Belangen der Ökosphäre, der Gesellschaft und Wirtschaft zu berücksichtigen. Hier waren die in den Beiträgen der Befürwortenden vermittelten Bilder stark schematisch, vereinfacht bzw. romantisierend naiv.
Besonders Merkmal dieser Diskussion war aber der Grad an Emotionalisierung und messianischem Geist im Einsatz um die Sache. Dieser besondere Grad an Emotionalisierung ist mitzudenken, wenn über die Realisierung dieses Petitionsanliegens entschieden wird. Denn diese Emotionalisierung bedeutet eine Erwartungshaltung, eine präjudizierte Einengung der erwarteten Beiträge des Bürgerrats. Erkennbar wurde: der Bürgerrat soll mit seinen Beschlüssen die entscheidende Bewegung in Beschlüsse und Maßnahmen zur Prävention der gravierendsten Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels bringen. Ergo: die Ergebnisse des Bürgerrats werden damit in vielen Beiträgen als bereits zwangsläufig vorgegeben vorausgesetzt, der Bürgerrat ist somit nichts mehr als ein gefälligst zu funktionierendes Instrument der Kampagnenarbeit der befürwortenden zivilgesellschaftlichen Organisationen.
2) Petition und vor allem der Diskussionsverlauf zeigten ein bemerkenswertes Misstrauen in die Unabhängigkeit und Ernsthaftigkeit der großen demokratischen Parteien, des demokratischen Parlamentarismus und die Fundiertheit wie das Verantwortungsbewusstseins der Debatten, Sacharbeit und der Entscheidungen des Deutschen Bundestags wie der Bundesregierung auf. Reihenweise steht der Verdacht eines omnipotenten wie im Verborgenen wirkenden Lobbyismus großer (ungenannter) Konzerne, ergo eines Korruptionsvorbehalts bei der Bewertung der Ergebnisse der parlamentarischen Arbeit. Reihenweise wird die Repräsentativität der demokratisch gewählten Volksvertretungen angezweifelt, u.a. mit der Begründung, es seien zu viele Akademikerinnen und Akademiker in den Parlamenten vertreten. Das Wissen um die politische Arbeit und die Arbeit der Parlamente blieb dabei auf Seiten der Befürwortenden überraschend oberflächlich. Authentizität und Vertrauen in Beschlüsse solle aber dagegen nur ein Abbild der Gesellschaft schaffen. Altbackene Schlagworte wie die Heranziehung eines Fraktionszwangs als Kritik im Grundsatz runden die präsentierten Frames ab. Lösung all dessen soll eine per Losentscheid unabhängige Bürgervertretung namens Bürgerrat sein. Ob dieses Gremium nun beratenden Charakter haben soll oder aber dem Bundestag weisungsberechtigt sein soll, dies blieb in der Diskussion ungeklärt. Spannend war, dass die Vorurteile gegenüber dem demokratischen Parlamentarismus in weiten Teilen der Gesellschaft tief verwurzelt zu sein scheinen. Hier kann erneut eine wichtige Aufgabenstellung für die Öffentlichkeitsarbeit bzw. Bürgerkommunikation der Bundesregierung wie der Arbeit der politischen Bildung seitens der demokratischen Parteien gefunden werden.
3) Weiteres Leitthema der Beiträge in der Diskussion war zudem Elitenkritik, Kritik am Establishment. Auch hier waren Motive von Verschwörungserzählungen erkennbar. Beiträge, die aufzeigten, wie man selbst als Rollenmodell auftreten kann, wie auch im Wohlstand der Bundesrepublik Deutschland ein Lebensstil mit geringem Ressourcenverbrauch, mit kleinem "ökologischen Fußabdruck" möglich ist, blieben rar. Einschränkungen, Verzicht, Abgeben wurde dagegen stets von "denen da oben" eingefordert. Aktiv werden sollen daher die sogenannten Eliten, weniger die Befürwortenden dieser Petition.
4) Die Befürwortungen der Petition blieben in der Regel auf Phrasen und Versprechen beschränkt. Nachweise zur Begründung der Heilsversprechen (z.B. ein Bürgerrat führt zu einer Stärkung der Demokratie im Land) fehlten regelmäßig, auch auf Nachfrage. Auch die Verweise auf vergleichbare Präzedenzfälle in Frankreich oder Irland waren wenig hilfreich. Da die Petition das Quorum deutlich erreicht hat, was die Wirksamkeit der Kampagnenarbeit der zahlreichen Organisationen aufweist, welche die Petition unterstützen, wird die öffentliche Fragestunde im Petitionsausschuss sicherlich besonders spannend werden.
Ansonsten verweise ich auf meinen Beitrag vom 01.12.2020, 23:35 Uhr, Diskussionszweig: "Unsere Demokratie muss bei der Klimakrise völlig neu gestaltet werden!"